Gutachten vom März 2001

Herr Dieter W. Liedtke ist mir als Künstler seit mehr als 1O Jahren bekannt. Persönlich sind wir uns im Frühjahr 1999 erstmals begegnet. Aufgrund seines großen Engagements unterstützte ich damals in meiner Eigenschaft als zweiter Direktor der Kunstsammlungen zu Weimar und verantwortlicher Hauptkonservator der Gemäldeabteilung Herrn Dieter W. Liedtkes Essener Ausstellung art open mit einem kostbaren Gemälde von Rubens im Wert von über 15 Mio. DM.

Päambel

Herr Dieter W. Liedtke ist mir als Künstler seit mehr als 1O Jahren bekannt. Persönlich sind wir uns im Frühjahr 1999 erstmals begegnet. Aufgrund seines großen Engagements unterstützte ich damals in meiner Eigenschaft als zweiter Direktor der Kunstsammlungen zu Weimar und verantwortlicher Hauptkonservator der Gemäldeabteilung Herrn Dieter W. Liedtkes Essener Ausstellung art open mit einem kostbaren Gemälde von Rubens im Wert von über 15 Mio. DM.

Durch mein vitales Interesse am fulminant neuen und modemen Ansatz in der Kunst von Dieter W. Liedtke habe ich mich intensiv mit seinem Werk befaBt und konnte in den letzten Jahren auch zahlreiche Arbeiten Liedtkes in Deutschland und Spanien im Original in Augenschein nehmen, Aktuell hatte ich bei meinen letzten beiden Reisen nach Spanien die Gelegenheit, das Œuvre Liedtkes genau zu studieren und zwar im Dezember 1999 sowie nochmals im Juli 2000.

Herr Dieter W. Liedtke hat mich im Spätherbst letzten Jahres gebeten, für ihn gutachterlich tätig zu werden. Dem konnte ich aus Zeitgründen erst jetzt nachkommen und ich möchte zudem an dieser Stelle betonen, daß ich mein Gutachten kostenfrei erstelle als Hommage an die innovativen Kräfte des Künstlers Dieter W. Liedtke.

Auch möchte ich betonen, daß ich mein Gutachten nach bestem Wissen und Gewissen abgefaßt habe und damit weder persönliche noch sonst wie materielle Interessen verfolge.

Gutachten

Bei den streitgegenständlichen Arbeiten handelt es sich um folgende Werke von Dieter W. Liedtke:

I. 1994 entwendet oder vernichtet in Vineburg, Deutschland

1.
  • weiße Gene neu
  • Magnetbänder, Acryl auf Stoff
  • 1988
  • 200 x 200 cm
2.
  • weiße Bereiche DNA
  • Magnetbänder, Acryl auf Stoff
  • 1988
  • 200 x 200 cm
3.
  • Magnetbänder, Acryl auf Stoff
  • 1988
  • 250 x 200 cm

II. 1999/2000 entwendet oder vernichtet in Port d'Andreatx, Mallorca, Spanien

1. - 12.
  • 9 Hintergalsbilder, ohne Titel
  • (3 zusammengehörende Diptychen à 2 Tafeln; 3 Einzelwerke)
  • Acryl auf Glas
  • 1992
  • 33 x 85 cm

Der Unterzeichner konnte keines der zwölf aufgeführten Werke in Augenschein nehmen, da sämtliche Arbeiten seit 1994 bzw. 1999/2000 als vernichtet bzw. gestohlen gelten müssen. Eine Reihe objektivierbarer Umstände erlaubt dagegen eine Begutachtung der Kunstwerke im Kontext des Œuvre von Dieter W. Liedtke.

1.

Der innovative künstlerische Ansatz von Dieter W. Liedtke impliziert die Darstellung moderner Inhalte und revolutionärer Aussagen mittels neuer Stilmittel und Ausdrucksweisen. Sein radikaler Geist transportiert auch weniger gebildeten Betrachtern seiner Kunst die innovativen Aussagen seiner Werke und läßt den Rezipienten auf spielerische Weise am Geschehen teilhaben.

Die Darstellung seiner Ideenwelt in nachvollziehbaren Erkenntnisstufen fordert förmlich ein Arbeiten in seriellen Schritten und zusammengehörenden Werkkomplexen.

Mehrere serielle Werkkomplexe sind sowohl in deutschem unq spanischem Privatbesitz, vor allem jedoch im Museo Liedtke in Port d'Andratx im Original zu begutachten.

Die beiden oben aufgelisteten Werkkompiexe der Nummern 1 bis 3 - bzw. 4 bis 12 waren jeweils Bestandteile wichtiger Serien, die teilweise in Rudimenten noch vorhanden sind (ergänzend zu den Nummern 1 bis 9) - bzw. sie stellten eine abgeschlossene, für eine klar definierte Örtlichkeit hergestellte Serie bzw. ein Gesamtkunstwerk dar (Nummern 4 bis 12).

2.

Dem Unterzeichner liegt eine Versicherungspolice aus dem Jahre 1988 voro Die renommierten Versicherungsmakler CV Gielisch GmbH vermittelten damals eine Police der Nord-Deutschen Versicherungs AG in Hamburg für eine größere Ausstellung von Dieter W. Liedtke im Essener Sheraton Hotel vom 22. April bis zum 22 Mai 1988.

Der Versicherungsvenag mit sämtlichen Nebenklauseln und Nebenabreden basiert auf musealen Standards während der Ausstellung: Aus Kostengründen wurde damals auf eine Mitversicherung während der Hin- und Rücktransportes verzichtet. Die branchenübliche Prämie von 2,75 % bezog sich demnach im vorliegenden Fall allein auf die Dauer der öffentlichen Präsentation der Kunstwerke Liedtkes im Essener Sheraton Hotel in der angegebenen Zeit.

Die aponatenliste listet akribisch 56 Einzelpositionen aus dem Besitz Liedtkes auf sowie 4 Leihgaben aus Privathand. Die Versicherungswerte sind sorgfältig differenziert ausgewiesen. Die Werte sind bei einzelnen Fotos mit ledigiich DM 200 bis DM 500 angegeben; kleinere Arbeiten schwanken zwischen DM 1.300 und DM 9.000; neun größere Arbeiten sind mit Werten zwischen DM 10.000 und DM 19.000 bewertet (darunter eine Leihgabe). Lediglich drei Hauptwerke sind höher taxiert; darunter die Leihgabe Gedankenflut mit DM 50.000 sowie die Liedtke gehörenden Werke Jean-Baptiste Henri gestorben 1765 - Dieter W. Liedtke lebend mit ebenfalls DM 50.000 sowie eines der Hauptwerke Liedtkes Aus der Sicht der 4- Dimension - Dimension mit DM 100.000

Ein kleinerer Schaden im Rahmen dieser Essener Ausstellung bzw. Police wurde im November 1988 von der Versicherung anstandslos reguliert. Dies belegt, daß von der Nord-Deutschen Versicherungs-AG die angesetzten Werte rückhaltlos berück sichtigt bzæ, akzeptiert waren. Dieter W. Liedtkes Sorgfaltspflicht gegenüber seinem Versicherungspartner stand demnach ausser Zweifel.

Wertfestsetzung

Nummer 1 bis 3 (vgl. Blatt 2)

Bei den streitgegenständlichen Nummern 1 bis 3 handelte es sich bei allen drei Arbeiten um wichtige Hauptwerke Liedtkes aus dem Jahre 1988. Einzelne Arbeiten dieser bedeutenden Serie sind im Museo Liedtke in Port d'Andratx erhalten, durch den schmerzlichen Verlust in Virneburg jedoch in ihrer Aussage reduziert.

Die drei Kunstwerke von 1988 mit Abmessungen von 300 x 180 cm (Nr. 1: weiße Gene neu); 220 x 200 cm (Nr. 2: weiße Bereiche DNA) bzw. 250 x 200 cm (Nr. 3: Neubeschriftungen) waren von den Keilrahmen gelöst in drei speziellen Kartons in Herrn Liedtkes früherer Ausstellungshalle bzw. seinem Lagerhaus in Virneburg aufbewahrt.

Ihr Wert ist den drei Hauptwerken der Essener Ausstellung vom gleichen Jahr im Sheraton Hotel gleichzusetzen.

Bei den Nummern 1 und 2 wird deshalb auf das Mittel der damaligen Wertfestsetzung abgestellt, d. h. beide Arbeiten hatten einen Wert von jeweils DM 75.000.

Bei der werkimmanenten Sonderstellung und künstlerischen Bedeutung der Nummer 3 wird auf das Hauptwerk der Essener Ausstellung verwiesen, der Arbeit Aus der Sicht der 4- Dimension, Dimension 1, 2, 3 die damals mit DM 100.000 ausgewiesen war.

Nummer 4 bis 12 (vgl. Blatt 2)

Bei den streitgegenständtichen Nummern 4 bis 12 handelte es sich um ein in sich abgeschlossenes serielles Gesamtkunstwerk, das aus drei Diptychen zu jeweils 2 Tafeln und drei ergänzenden Einzelwerken bestand. Dieses Gesamtkunstwerk war nicht nur in jeder einzelnen Hinterglastafel ein jeweils wichtiges originäres Kunstwerk, das dem Betrachter in sechs bzw. neun Einzelschritten das Credo des Künstlers von der Veränderbarkeit des Daseins und seiner Zukunft sprechend vor Augen führte. Die bedeutende Serie war vielmehr auch wichtiger Bestandteil des gesamtschöpferischen Ansatzes Liedtkes: einer durch Kunst veränderten Lebens- und Umwelt.

Dieter W. Liedtke hat den gesamten Museums- und Wohnkomplex seiner Anlage in Port d'Andratx im Sinne einer architecture parlante mit Rückgriffen auf die Kunst der Jahrhundertwende für seine innvoativen Ziele konzipiert und nutzbar gemacht. Jede Detailveränderung, jeder Umbau und jedes Entfernen einzelner Komponenten kommt im Sinne seines Gesamtkunstwerkes einer Amputation und Sinnentstellung gleich. Das Entfernen bzw. Vernichten der bedeutenden Serie von neun Hinterglasbildern aus dem Bar- bzw. Restaurantbereich war somit neben der Zerstörung künstlerischer und materieller Werte auch ein barbarischer Akt stupider Ignoranz.

Die streitgegenständllchen neun Hinterglasbilder der Nummern 4 bis 12 lassen sich demzufolge in diesem Zusammenhang nicht in einzelne Werke auseinander dividieren, denn beim Verlust oder der Beschädigung nur eines Bildes bestünde wenigstens noch die Möglichkeit das Werk entweder zu restaurieren bzw. mit Ergänzungen aus der Hand des Künstlers nachzuempfinden. Der Verlust aber der ganzen rauminkorporierten Serie kann nur im Gesamten bewertet werden.

In Anbetracht der Bedeutung der Serie für das Werk des Künstlers wie seine Bedeutung für das Gesamtkunstwerk des Museumstiftungskomplexes von Dieter W. Liedtke in Pott d'Andratx ist der Gesamtwert der Serie der neun wichtigen Hinterglasbilder der Nummern 4 bis 12 auf einen Betrag von mindestens DM 900.000 anzusetzen.

Zusammenfassung der Wertfestsetzung

I. 1994 entwendet oder vernichtet in Vineburg, Deutschland

1.
  • weiße Gene neu
  • Magnetbänder, Acryl auf Stoff
  • 1988
  • 200 x 200 cm DM 75.000
2.
  • weiße Bereiche DNA
  • Magnetbänder, Acryl auf Stoff
  • 1988
  • 200 x 200 cm DM 75.000
3.
  • Magnetbänder, Acryl auf Stoff
  • 1988
  • 250 x 200 cm DM 100.000

II. 1999/2000 entwendet oder vernichtet in Port d'Andreatx, Mallorca, Spanien

1. - 12.
  • 9 Hintergalsbilder, ohne Titel
  • (3 zusammengehörende Diptychen à 2 Tafeln; 3 Einzelwerke)
  • Acryl auf Glas
  • 1992
  • jeweils 33 x 85 cm DM 900.000

Weimar, den 16. März 2001

gez. Dr. Thomas Föhl

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